Der Gruftwächter
von Franz Kafka Ein Endzeit-Hörspiel
im Steingewölbe Schummrig gruftige
Atmosphäre zur Kafka-Lesung "Der Gruftwächter"
im Hospitalkeller von Kloster Eberbach; auch fürs anwesende Publikum
schwer zu erkennen waren die Mitwirkenden (von links): Kafka-Experte
Hans-Gerd Koch, Claudia Amm, Günter Lamprecht, Wolfgang Vater,
Christoph Maasch und Tim Riedel. KLOSTER EBERBACH Zwischen den Weinfässern im Keller ein wenig Kerzenschimmer; oben auf der Empore im steinernen Gewölbe von Kloster Eberbach brennen fünf dreiarmige Kerzenständer: Dunkel bleibt es dennoch. Alle Plätze in diesem Hospitalkeller sind zur Kafka-Lesung besetzt. Dessen Dramenfragment "Der Gruftwächter" wird vorgetragen, von einem kleinen Ensemble rund um die Hauptperson Günter Lamprecht. Die Tour ist initiiert von der Kafka-Forschungsstelle der Universität Wuppertal und dem S. Fischer-Verlag, arrangiert für Wiesbadener von der Buchhandlung Buch Habel. Das Interesse des Publikums ist groß; es sitzt im Mantel, auf Decken oder auch von Decken umhüllt, und noch ist ihm warm vor lauter Erwartung. Wir blicken nach oben auf den schummrigen Balkon, sehen vor allem ein Gestänge, das fast alle Gesichter von ihren Körpern trennt und - hören aus der hinteren Kellertiefe Klänge eines Sopransaxophons. Michael Bossong leitet auf seinem Instrument ein; die Tonlinien füllen den Raum aus, bis die erste Stimme spricht. "Reisegruppe Kloster Eberbach?" Anderthalb Stunden zuvor sammelt Buch-Habel-Geschäftsführerin Regina Voit an der Ecke Kirchgasse/Luisenstraße wartende Gruppen ein: Dem Publikum steht diesmal eine Busfahrt zum Veranstaltungsort nach Kloster Eberbach bevor. Der Bus wird voll. Etwas Erklärung zu Stück, Autor und historischem Hintergrund auf der Fahrt. Die Stimme im Hospitalkeller (sie gehört Hans-Gerd Koch von der Kafka-Forschungsstelle) erwähnt dann auch das Entstehungsjahr des Kafka-Dramas 1916, das Jahr, in dem der alte österreichische Kaiser Franz Joseph nach 68-jähriger Regentschaft im Hause Habsburg stirbt und in der Kapuzinergruft von Wien zu Grabe getragen wird. Es geht real - und fiktiv in Kafkas dramatischem Entwurf - um die Nachfolge im Staat mit seinem Ballast eines hochbetagten Hofstaats und der Gegenstimme, die neue Wege einfordert. Diese Rolle spricht Tim Riedel, außen rechts auf dem Balkon. Christoph Maasch (Mainz) liest den jungen Fürsten in schneidigem Ton, Wolfgang Vater (Wiesbaden) hebt sich mit seinem sonoren Bariton als Kammerherr von den helleren Stimmen ab. Dann endlich lässt Kafka auch seinen Gruftwächter zu Wort kommen. Das heißt: Wir hören Günter Lamprecht atmen, seufzen, ächzen. Der Gruftwächter ist alt, und hat von unheimlichen nächtlichen Begegnungen zu berichten: Er ficht Kämpfe aus mit den Gespenstern der seligen Vorfahren (oder auch: den Alten aus dem Geiste Habsburgs). Lamprechts Stimme ist unverwechselbar wandlungsfähig: sein Gruftwächter brummelt, klingt gepresst im Abenteuer seiner Nächte, ist von souveränem Stolz seinem Fürsten gegenüber und verröchelt schließlich in einer Ecke, da der Obersthofmeister eine Gegenposition zur Ahnenverehrung anmahnt. Das letzte Wort hat Claudia Amm als Fürstin: "Es ist diesmal ein über alle Maßen trauriger Herbst." Am Herbstabend im Hospitalkeller ist es jetzt nach mehr als einer Stunde über alle Maßen kalt geworden. Dennoch bleiben viele nach dem Ende noch beisammen, beeindruckt von der gruftigen Stimmung des Abends mit seiner spärlichen Kerzenbeleuchtung, die wenig zwar dem Auge, umso mehr aber dem Ohr ein Hörspiel bot. Ein Autogramm von Günter Lamprecht noch ins Kafka-Buch, und dann schnell in den Bus zur Rückfahrt, mit aufwärmendem Blick auf den nächtlichen Rhein. |
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